Im untenstehenden Artikel finden Sie eine kleine Selektion an historischen Werbeanzeigen von Unternehmen, die bereits im vormodernen China aktiv waren. Eine Vielzahl weiterer, historisch seltener Archivbilder, die Analyse ihrer kulturellen, landesspezifischen Besonderheiten sowie ihre Relevanz für die heutige Marktbearbeitung finden Sie im Buch "Zwischen Faszination und Furcht - Ausländische Marktakteure in China".
"Heute entwickelt sich das Leben in China in fieberhafter Eile. Jeder Tag bringt neue Ereignisse und Entwicklungen, und hinter den lauten Tagesereignissen und Kämpfen vollzieht sich etwas ganz Großes: das Auftauchen einer neuen Welt." – Kein Zweifel, diese Aussage muss der aktuellen Presse entnommen sein, reiht sie sich doch in die Folge tagtäglicher Schlagzeilen wie "Kapitalismus pur – Shanghai gibt sich ultramodern", "Verpassen Sie nicht den Zug nach China" oder "Mehr als 1,3 Milliarden Kunden" ein. Doch der Satz entstammt einem Buch von 1925.
Bereits 1850 wird China als »wahres Wunderland« bezeichnet, und auch das Zitat aus dem Reisebericht eines russischen Missionars aus dem Jahre 1826 belegt die Faszination, die das Reich der Mitte auf Ausländer seit jeher ausübt: "Das Schicksal verschönerte mein Leben durch ein seltenes, unvergessliches Ereignis: Ich sah China."
Damals wie heute wird die Frage "Warum gerade China?" ähnlich beantwortet: "Weil es durch Jahrtausende hindurch so absolut die vorherrschende Nation des Fernen Ostens gewesen ist. Und weil es auch hinsichtlich der Bevölkerungszahl, des Gebietsumfangs und der Eigenschaften seiner Kultur ... bei weitem der wichtigste Teil des Orients bleibt." (1936)
Als Schattenseite der Faszination erweist sich bei der Bearbeitung des fremden Marktes oftmals die ungenügende ausländische Vorbereitung – häufig die Ursache für Fehler und Probleme. 1874 klagt ein Autor über touristische Berichterstattung: "Nun kommen gar noch die Touristen hinzu und vermehren die Verwirrung. Die Welt soll ja wissen, dass sie in China waren! Freilich haben sie so gut wie gar nichts gesehen; trotzdem theilen sie sehr Vieles mit." Auch der deutsche Begleiter der englischen Macartney-Gesandtschaftsreise durch China bedauerte bereits 1797, es gäbe unter zwanzig Reisenden kaum einen Beobachter, "die mehresten geben Nachrichten, welche völlig unzuverlässig" seien, zudem gelte die eigene Wahrnehmung oft nur als Bestätigung mitgebrachter Einstellungen.
Mit der Farbe des Kaisers geworben
Gleichwohl zeigt ein Blick in die Archive, dass sich einige Unternehmen bei ihrem Markteintritt noch zu Zeiten des Kaiserreiches sehr wohl mit den lokalen Bedingungen vertraut gemacht haben und in der Folge in China erfolgreich waren. Als Beispiel kann BASF genannt werden, die seit 1885 im Markt ist, 1913 über 15 Prozent des weltweiten Umsatzes in China erwirtschaftete und schon zu damaliger Zeit bedeutend in der Herstellung von Textilfarben war. BASF nannte ihren gelben Farbstoff in China "Imperial Yellow", wohl wissend, dass diese Farbe hierzulande die des Kaisers ist. In Werbeanzeigen um 1920 sind schließlich Tiere des chinesischen Tierkreiszeichens wie Drachen und Hunde abgebildet. Und Bayer zeigt um 1908 eine Szene, wie ein Affe einen Pfirsich vom Baum stiehlt. Die ist eindeutig auf den chinesischen Klassiker "Reise nach Westen" und den beliebten Affen Sun Wukong zurückzuführen.
Für jedes Produkt die richtigen Schriftzeichen finden
Bei der Übertragung westlicher Markennamen in die chinesische Sprache in vormaoistischen Zeiten sind ebenfalls positive Beispiele zu nennen. So Nivea. Die ausgewählten Schriftzeichen wecken Assoziationen mit "Fähigkeit, Schönheit zu bewahren".
Das ebenfalls von Beiersdorf hergestellte ABC-Wärmepflaster wird wiederum mit dem Ursprungsland umworben, was die chinesischen Schriftzeichen für Deutschland und der Zusatz "Scene of an ancient German pharmacy" samt Abbildung manifestieren. Aktuelle Studien über Marketing in China belegen, dass ausländische Unternehmen sinokulturelle Faktoren zu beachten und zu nutzen gelernt haben, um ihren Erfolg im Land zu stärken.
Meldungen, China sei zunehmend westlich, werden solchermaßen widerlegt. Zwar manifestieren Studien einen Wandel in vielerlei Hinsicht, dennoch ist eine Diskussion über eine "Leitkultur" nicht vonnöten: Westliche Einflüsse werden klar unterschieden in Technologietransfer sowie geistige Ideen und Strömungen. Technologie aus dem Ausland dient allein der praktischen Anwendung, die chinesische Kultur bildet hingegen die universelle Essenz der Gesellschaft. Eine Besinnung darauf wird innerhalb Chinas aktueller Regierung mehr denn je als wichtig beurteilt.
Ausländische Einflüsse werden bewusst assimiliert
Jahrtausende chinesischer Kulturgeschichte zeigen, dass China zwar stets neue Einflüsse aufgenommen hat, diese jedoch auf Praktikabilität prüfte und so weit an die eigenen Bedürfnisse anpasste, dass eine Herkunft von außen kaum mehr ersichtlich war. Diese Kraft der Assimilierung verhalf China seit jeher, seine Kultur zu festigen, Charakteristika zu erhalten und bis in die Gegenwart zu transferieren.
1936 schreibt die Frankfurter Zeitung, China erschließe sich den Erfindungen des Westens schnell und geschickt – um in der Tiefe freilich alles Westliche, die Maschinen und ihr Tempo, die abendländischen Sitten und Begriffe, wieder zu verleugnen und sich erneut dem langsamen Rhythmus der Monde und der Planeten zuzuwenden. Das uralte China erkenne nur in sich selbst seine letzte Instanz. Und Managementbücher dieses Jahrtausends postulieren: Ausländer in China sollten sich damit abfinden, für Chinesen nichts mehr als "Atmosphäre" zu sein, welche geprägt sei durch Technologie, Wissen und Finanzkraft.
China hat sich auf den Weg gemacht, die USA als erste Volkswirtschaft der Welt zu entthronen. Die anvisierte Rolle hatte China bereits um 1820, vor jeglicher westlich-militärischer Unterdrückung, inne, als es aus eigener Kraft unangefochten die größte Volkswirtschaft der Welt war.
Ebenso wie die aufgeführten kulturellen Elemente, die das China-Marketing nachgewiesen seit Jahrhunderten prägen, belegt diese Entwicklung auch die Aussage eines Autors aus dem Jahre 1925: Das Neue sei nicht etwas, was ganz unvermittelt entstünde, denn seine Keime und Anknüpfungspunkte lägen in der Vergangenheit.
Ausländische Unternehmen sollten sich zur Erreichung nachhaltigen Erfolges in China verstärkt mit dessen Vergangenheit, den kulturellen Wurzeln und Entwicklungen auseinandersetzen, denn nur – so heißt es anno 1925 – "wer die Keime des Werdens zu deuten versteht, vermag aus ihnen die Zukunft zu lesen".
Mit freundlicher Genehmigung der Unternehmensarchive von BASF, Bayer und Beiersdorf.